17. November 1944
Erste grenznahen Dörfer befreit
Die ersten grenznahen Dörfer, darunter Héricourt, wurden befreit. Französische Truppen rücken weiter vor und erzielen dabei teils bedeutende Geländegewinne. Sie setzen ihren Vormarsch in Richtung Belfort und Rhein fort.
In der Nacht vom 16. auf den 17. November 1944 zogen sich zudem die verbliebenen deutschen Einheiten aus dem Raum um Metz geordnet in Richtung Osten zurück, um entlang des Westwalls eine neue Verteidigungslinie aufzubauen. Der Rückzug markierte eine strategische Massnahme angesichts des zunehmenden Drucks der vorrückenden alliierten Streitkräfte.
Wie man von der französischen Grenze erfuhr, war auch das Gebiet von Montbéliard befreit worden. Bei den Kämpfen im Gebiet der Burgunderpforte, wurde die deutsche Front durchbrochen. Nach erbitterten Gefechten fielen die Ebene von Blamont, die von grosser militärischer Bedeutung war, und das Industriegebiet von Hérimoncourt in die Hände der Franzosen. Die deutschen Truppen zogen sich eilig in Richtung Delle zurück. Um 18:30 Uhr wurde die französische Fahne auf der alten Burg von Montbéliard gehisst. In der Stadt und im gesamten Gebiet von Montbéliard, das in der letzten Zeit besonders schwer gelitten hatte, herrschte unbeschreiblicher Jubel.
Französische Panzer M10 Wolverine in den Strassen von Montbéliard am 17.November 1944 - Postkarte Privatarchiv Patrick Schlenker
Augenzeugenbericht aus den Basler Nachrichten:
Von den Jurahöhen an der Grenze bot sich unseren Augen in der Nacht ein märchenhaftes Schauspiel. Während gewaltige Explosionen die Luft erschütterten, konnte man das Mündungsfeuer der Geschütze aufblitzen sehen, und oft wurde die Gegend für kürzere oder längere Zeit von den Einschlägen der Geschosse grell erleuchtet. Dazwischen stiegen fast ununterbrochen Raketen in den Himmel, vorwiegend rote, aber auch weisse und grüne. Die stärksten Detonationen kamen von schweren amerikanischen Geschützen, die erst vor kurzem über Maîche hergebracht worden waren. Obwohl diese nun die Höhen von Hérimoncourt beherrschten, rückten die Alliierten nur langsam vor. Die Wälder und die stellenweise sumpfigen Gebiete entlang der Westgrenze waren mit Minen gespickt, die das Vorrücken der Infanterie erheblich erschwerten, wenn sie empfindliche Verluste vermeiden wollten.
Bis jetzt sind neun Granaten auf Schweizer Boden gefallen, sechs in der Gegend von Grandfontaine, drei in der Nähe von Fahy. Zum Glück richteten sie keinen Schaden an, obwohl eine davon nicht weit vom Restaurant du Raisin in Fahy einschlug. Trotz des schönen Wetters, das am Freitagmorgen herrschte, war die Fliegertätigkeit verhältnismässig gering. Ein erster Alarm wurde vor 9 Uhr ausgelöst, gegen 10 Uhr kreisten vier Jäger über dem Bahnhof Pruntrut, und kurz vor 14 Uhr konnte noch einmal eine Viererstaffel beobachtet werden, die plötzlich über Delle in die Tiefe stiess. Die starke Kanonade hielt den ganzen Nachmittag über an und steigerte sich gegen 17 Uhr abends wieder zu einem Trommelfeuer, das Fenster und Türen erzittern liess. Gleichzeitig konnte man in Erfahrung bringen, dass die Amerikaner westlich und nordwestlich von Montbéliard Fortschritte erzielt haben.
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An der Schweizer Grenze bei Fahy baten rund 150 bis 200 erschöpfte und kampfesmüde Einheiten der Wehrmacht um Internierung am dortigen Grenzübergang. Andere flüchteten in die Wälder von Bure. Nach langen und verlustreichen Gefechten sahen sich viele Soldaten gezwungen, die Schweiz als neutralen Zufluchtsort zu wählen, um dem weiteren Kampf zu entkommen. Der Vorfall verdeutlichte den zunehmenden Zerfall der deutschen Verteidigungslinien und das Bestreben einzelner Einheiten, der aussichtslosen Lage an der Front zu entkommen.
Territorial-Kommando Basel
Nach der fast vollständigen Ruhe, die wegen des schlechten Wetters seit Wochen im Luftraum nördlich und westlich von Basel geherrscht hatte, setzten am Freitag die Fliegeraktionen wieder ein. An diesem bedeckten, aber trockenen Tag heulen jedoch um 08:47 Uhr erneut die Sirenen in Basel, obwohl keine Flugaktivitäten wahrgenommen werden konnten. Obwohl um 09:15 Uhr Entwarnung gegeben wurde, kam es den ganzen Tag über zu Luftraumverletzungen entlang der Ost-West-Grenze der Schweiz sowie in Graubünden. Dabei überflogen vor allem amerikanische Bomber und französische Jäger diese Gebiete.
Um halb eins Uhr mittags konnte man von Basel aus sehen, wie sich der Himmel in Richtung Müllheim mit zahlreichen pechschwarzen Rauchwölkchen bedeckte. Bald darauf hörte man das Donnern der schweren Flak-Geschütze, die vermutlich weit hinter dem Istein aufgestellt waren. Schliesslich tauchte eine Anzahl Flieger aus den Wolken auf. In drei oder vier Gruppen mit bis zu acht Maschinen wurden etwa 17 viermotorige Bomber gesehen, die vom Badischen her nach Westen flogen. Die Fliegerabwehr vermochte sie nicht zu erreichen. In Basel wurde kein Fliegeralarm ausgelöst.
Um 14:30 Uhr nahm die Fliegerabwehr in jener Gegend erneut ihre Tätigkeit auf. Die Flugzeuge konnten jedoch nicht mehr gesehen werden, da sich die Sicht inzwischen verschlechtert hatte. Bis kurz vor 16 Uhr hörte man mehrere sehr wuchtige Bombardierungen, insbesondere in nord-nordwestlicher Richtung (Mulhouse, Colmar oder Vogesen), die jeweils nur minutenlang andauerten.
Am Grenzübergang Lybüchel an der Grenze zu Frankreich herrschte das gleiche Treiben wie in den Tagen zuvor. Allerdings wurden, anders als in den Monaten zuvor, im Verlauf des Oktobers erneut Panzersperren auf der Strasse errichtet und der Grenzschutz verstärkt.
Grenzübergang Lybüchel Basel - St. Louis 1944 - Foto Links Staatsarchiv Basel "Tanksperre Grenze Lysbüchel NEG 21920" - Kolorierung Patrick Schlenker / Foto Rechts - Grenzübergang Lysbüchel im November 2024
Grenzübergang Lybüchel Basel - St. Louis im November 1944 - Foto Links Staatsarchiv Basel "Grenzbefestigungen St. Louis BSL 1060c 3/7/347 - Kolorierung Patrick Schlenker / Foto Rechts - Grenzübergang Lysbüchel im November 2024
Flüchtlingszahlen Schweiz
Da auch an diesem Abend wiederum eine Anzahl von französischen Flüchtlingskindern aus dem unkämpften Elsass erwartete werden, infomierte der Chef der Eidgenössischen Polizeiabteilung, Dr. Heinrich Rothmund, über den neuesten Stand der Flüchtlingsfrage.
Internierte: Zu den Internierten zählen Soldaten, die entweder über die Grenze gekommen sind oder nach ihrer Landung in der Schweiz Zuflucht suchten. Zurzeit befinden sich rund 16.000 solcher Personen in der Schweiz.
Hospitalisierte: Das sind kranke ausländische Wehrmänner, die aufgrund von Vereinbarungen mit den kriegführenden Parteien in der Schweiz gepflegt werden. Derzeit beherbergt die Schweiz 385 lungenerkrankte Franzosen und 44 Finnen.
Entlassene Kriegsgefangene: Etwa 3.800 Personen aus rund 20 Nationen befinden sich in der Schweiz. Rund 6.000 Kriegsgefangene haben die Schweiz nach einem vorübergehenden Aufenthalt wieder verlassen, da der neutrale Staat nicht verpflichtet ist, sie dauerhaft zu behalten.
Deserteure: Dies sind Personen, die ihre militärischen Einheiten unrechtmässig verlassen und in die Schweiz geflüchtet sind. Ihre Zahl beträgt rund 700.
Emigranten: Die Anzahl der Emigranten, die sich derzeit in der Schweiz aufhalten, beträgt rund 7.500. Dem Eidgenössischen Kommissariat für Internierung und Hospitalisierung unterstehen neben den bereits genannten Flüchtlingen etwa 118.500 italienische Staatsangehörige.
Unterstellt wurden jene Personen, die nach ihrer Ankunft weder als Internierte, noch als Hospitalisierte, noch als entlassene Kriegsgefangene oder Deserteure galten, sondern Personen, die während des gegenwärtigen Krieges in der italienischen Armee gedient hatten, sich aber nach der Kapitulation Italiens zu Hause befanden und sich später durch Flucht in die Schweiz einem neuen Stellungsbefehl entzogen haben.
Eine weitere Kategorie bilden die sogenannten „Grenzflüchtlinge“, die sich je nach der Entwicklung der kriegerischen Ereignisse in die Schweiz retten konnten, um sofort oder später in einen ungefährdeten Teil ihres Heimatlandes zurückzukehren, wie etwa die Flüchtlinge, die bei Boncourt eintrafen, um die Schweiz in Richtung Berrières-Bontarlier wieder zu verlassen.
Es handelt sich bei den letztgenannten Personen um rund 9.000 Menschen.
Nach früheren Massnahmen zur temporären Aufnahme von Kindern im Rahmen von Erholungsaufenthalten in der Schweiz kamen in den letzten Wochen insbesondere aus dem Kampfgebiet um Belfort zahlreiche Grenzflüchtlingskinder in die Schweiz. Vom 16. September bis 10. November waren es rund 14.000. Zusätzlich kamen 1.000 Kinder aus dem Val d'Ossola. Mütter dieser Kinder, um die sich auch das Rote Kreuz kümmert, stammten aus diesen beiden Gebieten und zählten jeweils 2.000 Personen.
In den Monaten September und Oktober sind rund 26.000 neue Flüchtlinge eingereist, einschliesslich der erwähnten 15.000 Kinder.
Die Gesamtzahl aller am 1. November 1944 in der Schweiz anwesenden Flüchtlinge betrug rund 95.000.