25. November 1944
Alliierter Vormarsch in der oberelsässischen Ebene
Die französische Zweite Panzerdivision, die für ihre Befreiung von Paris im August bekannt ist, stösst heute gemeinsam mit der amerikanischen Siebten Armee in die oberelsässische Ebene vor. Seit der Einnahme von Zabern am Mittwochnachmittag gerät der deutsche Widerstand zunehmend ins Wanken.
Französische Panzertruppen haben Birkenwald besetzt und setzen ihren Vorstoss in Richtung Strassburg fort. Gleichzeitig dringen sie nördlich von Zabern in die Ebene vor und bewegen sich mit beeindruckender Geschwindigkeit auf Hagenau zu. Die deutsche Verteidigung setzt alles daran, diesen Vormarsch zu stoppen, wobei selbst unerfahrene und nicht kampftaugliche Kräfte mobilisiert werden.
Besonders auffällig ist die Gefangennahme einer Kompanie, die vollständig aus tauben und schwerhörigen Soldaten besteht – ein beispielloser Vorfall in der Militärgeschichte. Weitere Gefangene hinterlassen einen erschütternden Eindruck: Sie tragen zerrissene Uniformen oder improvisierte Zivilkleidung mit Volkssturmarmbinden, sind völlig erschöpft und haben Tage ohne Nahrung im Freien verbracht.
Während die französischen Panzer die deutschen Linien durchbrechen, versuchen die Verteidiger, mit der Taktik der „elastischen Verteidigung“ Lücken hinter den Panzern zu schliessen. Doch die alliierten Truppen setzen entschlossen nach: Französische und amerikanische Infanteristen folgen in engen Wellen und führen kontinuierliche Sturmangriffe durch. Sie räumen das flache Gelände systematisch von gegnerischen Kräften und sichern so den weiteren Vormarsch.
Der Vormarsch der Alliierten zeigt, wie sehr der deutsche Widerstand in dieser Region an Schlagkraft verliert. Mit der Einnahme von Zabern und weiteren strategischen Fortschritten rückt die Befreiung des Elsass immer näher, während der Druck auf die deutsche Verteidigung unaufhaltsam steigt.
United Press meldet:
Es wird bekanntgegeben, dass Strassburg vollständig vom Feind gesäubert ist. Am Vormittag finden in der Nähe des Rheinufers heftige Kämpfe statt, während ein grosser Teil der Stadt bereits vom Feind gesäubert wurde. Als ich in die Stadt fahre, stehen in den östlichen Bezirken bereits dichte Menschenmengen auf beiden Seiten der Strassen, um den einrückenden französischen und amerikanischen Truppen einen begeisterten Empfang zu bereiten. Tausende von französischen Flaggen werden geschwenkt, und die Menge jubelt stundenlang, als in langen Kolonnen die alliierten Motorfahrzeuge vorbeifahren. Auf den Plätzen stehen französische Panzer, während Sturmgeschütze bereits über den Rhein in das deutsche Territorium feuern. Alle drei Rheinbrücken sind noch unversehrt, und die Deutschen halten noch einen kleinen Perimeter um jeden Flussübergang auf französischem Gebiet. Auch in den Waldungen am Stadtrand sind noch deutsche Nachhutverbände aktiv, die durch gelegentliches Minenwerfer- und Maschinengewehrfeuer den Verkehr auf den Ausfallstrassen behindern.
Kämpfe an der Grenze zu Basel
Die Nacht steht im Zeichen von schwerem Artilleriefeuer. Die badische Nachbarschaft wird erneut beschossen, und in Kleinhüningen erzittern die Häuser unter dem Dröhnen der Granateneinschläge in Friedlingen. Auch die Bahnstrecken von Weil und Haltingen sowie die Umgebung von Istein geraten unter Feuer. Die ehemalige SS-Kaserne Garde-Mobile Kaserne in St. Louis wird am erneut von deutscher Artillerie in Baden-Stellung bombardiert. Direkte Treffer sind zu beobachten. Das Maschinengewehrfeuer nimmt wieder zu. Minenwerfer kommen zum Einsatz und treffen das Gebiet zwischen der Gasfabrik und der Evangelischen Kirche in Hüningen. Zwischen der SS-Kaserne und dem Fabrikgelände der Schiffsmühle wechseln Salven mit Leuchtspurmunition die Seiten und durchschneiden die Dunkelheit. Über St. Louis steigt eine rote Leuchtrakete auf, während aus der Region um Mulhouse das ununterbrochene Donnern von Geschützen hallt.
Ehemalige SS-Kaserne Garde-Mobile in St. Louis - Foto Privatarchiv Patrick Schlenker
Eine französische Panzereinheit, unterstützt von der FFI, hat die Stadt St. Louis komplett gesäubert. Trotzdem wird Hüningen weiterhin wahllos mit Minenwerfern beschossen. Die Granaten treffen verschiedene Stadtteile, besonders das untere Hüningen, und verursachen Schäden an Wohn- und Geschäftshäusern. Dabei gibt es auch Verletzte.
Zwischen Hüningen und Friedlingen ruht der Fährenverkehr aufgrund des Hochwassers des Rheins. Währenddessen bleibt auch die französische Artillerie im Raum Haltingen und Leopoldshöhe am Freitagvormittag überwiegend inaktiv. Ziele in der Umgebung von Weil und Friedlingen stehen zwar kurzzeitig unter Beschuss, aber grössere Bewegungen bleiben aus. Französische Panzerwagen treten ebenfalls nicht sichtbar in Erscheinung.
Deutsche schwere Geschütze greifen auch die Region Kembs an. Französische Streitkräfte, vermutlich gepanzerte Fahrzeuge, rücken bis in die Nähe der 10 km entfernten deutschen Festung Istein vor, flussabwärts von Basel. Um 16:35 Uhr wird erstmals aus der Festung Istein gefeuert. Mehrere Salven werden in das elsässische Vorgelände geschossen. Allerdings handelt es sich dabei nicht um Explosionsgranaten, da bei den Einschlägen keine Detonationen zu hören sind.
Ein kurzer Zwischenfall ereignet sich gegen 19:00 Uhr, als ein deutscher Stosstrupp aus dem "Niemandsland" bis zur Garde-Mobile Kaserne vordringt. Von dort nehmen sie den Bahndamm unter Feuer, ziehen sich jedoch nach einer kurzen Schiesserei wieder zurück.
Französische Artillerie beschiesst zwischendruch Grand-Huningue, während am Abend sind zahlreiche französische Fahrzeuge aller Art zu sehen sind, die mit eingeschalteten Scheinwerfern auf den Strassen des Haute-Alsace unterwegs sind. Nach 21:00 Uhr Uhr nimmt die Artillerieaktivität wieder zu. Gleichzeitig erlöschen die beiden Brände bei Kembs spät am Abend, was zumindest eine kleine Erleichterung bringt.
Französische Truppen am Rhein vor Huningue – Im Hintergrund die Tankanlagen auf Schweizer Boden, mit einer Schweizer Flagge gekennzeichnet. Die Tankanlage im Hintergrund befanden sich auf Höhe Inselstrasse / Schlossgasse / Altrheinweg – Foto United Press / Privatarchiv / Kolorierung Patrick Schlenker.
Bericht aus dem Badischen
Obschon das nasskalte Wetter keineswegs sommerlich anmutet, liegt seit einigen Tagen über der badischen Nachbarschaft eine schwüle, die sich in Nervosität und gedrückter Stimmung äussert. Die badische Grenzbevölkerung ist immer besser informiert gewesen als viele andere, zum Beispiel die Mitteldeutschen. Die Ereignisse der letzten Tage haben das Bild der nahenden Gefahr weiter verfestigt: der Kriegslärm, der immer näher kommt, die häufigen Luftangriffe der Alliierten und viele andere Begebenheiten, die seit den Maitagen 1940 nicht mehr erlebt wurden. All das spricht eine deutliche Sprache.
Der Kanonendonner ist hier ununterbrochen Tag und Nacht zu hören, mal aus Richtung Basel-Belfort, mal nördlich aus Richtung Mulhouse-Ballon d'Alsace oder auch aus noch weiter entfernten Gebieten. Nachts sieht man am schwarz verhängten Himmel die Kriegszeichen des Feuers, und wer darüber hinwegsehen wollte, der könnte durch den stossweisen nächtlichen, aussergewöhnlichen Bahnverkehr aufmerksam werden, der immer wieder auffällt. Der Kriegsalltag scheint in den Regionen am Oberrhein eingezogen zu sein, mit all seinen Geräuschen und Zeichen der nahen Front.
Die badische Grenzbevölkerung ist zwar nicht in Panik, aber doch zunehmend nervös und fiebrig, was sich in vielerlei Ungewöhnlichkeiten zeigt. In den Dörfern und Städten werden Vorbereitungen für mögliche Evakuierungen getroffen, die Koffer werden gepackt, und militärische Arbeiten lassen auf Verteidigungsmassnahmen schliessen. Das Grenzland hat sich von der ausgelassenen Stimmung von 1940, als man in einem Anflug von Übermut die Soldaten als „Schwyzerlöli“ bezeichnete, weit entfernt. Damals, im ersten Kriegsjahr, hielt man die militärische Bedrohung für weit entfernt und reagierte entsprechend unvorbereitet.
Doch die Zeiten haben sich geändert. Ein Bekannter von „drüben“, der zuvor noch schwärmte, für seinen Führer an der Front kämpfen und sterben zu dürfen, redet heute nur noch von zukünftigen Ferien in der Schweiz – ein deutlicher Wandel in der Wahrnehmung der Kriegslage.
Deutsche Flüchtlinge in Kleinhüningen Ende November 1944 auf dem Weg zum Grenzübergang Grenzach - Foto Privatarchiv Patrick Schlenker
Territorial-Kommando Basel - Weitere Schäden durch Beschuss in Basel
Der Territorialkommandant von Basel hat in Petit-Huningue und den umliegenden Gebieten von Kleinbasel Mitteilungen an die Bevölkerung verteilt. Er informiert darüber, dass Vorbereitungen getroffen wurden, um provisorische Unterkünfte für Kriegsopfer bereitzustellen. Die Bewohner werden aufgefordert, Kleidung und Essen für zwei Tage bereitzuhalten, falls sie auf diese Unterkünfte angewiesen sein sollten. Es wird ausdrücklich betont, dass keine Einschränkungen beim Aufenthalt in den Unterkünften bestehen. Über Lautsprecher wird den Anwohnern zudem mitgeteilt, dass keine unmittelbare Gefahr besteht. Die Massnahmen dienen lediglich der Vorsicht und der rechtzeitigen Vorbereitung.
Zusätzlich zu diesen Massnahmen wurden im Bildungsbereich weitere Schritte unternommen. Nachdem zu Beginn der Woche die Schule in Kleinhüningen wegen ihrer exponierten Lage geschlossen wurde, hat man nun entschieden, auch das Inselschulhaus bis kommende Woche zu schliessen. Dieses Schulhaus diente nicht nur den Schülern des umliegenden Quartiers, sondern auch Primarschülern aus dem St. Johannsquartier.
Viele Eltern dürften die vorsorgliche Schliessung begrüssen, da die Sicherheit ihrer Kinder während der Artilleriebombardements auf dem Schulweg eine grosse Sorge war. Am kommenden Montag wird, abhängig von der militärischen Lage in der Nachbarschaft, entschieden, ob der Unterricht im Inselschulhaus wieder aufgenommen werden kann.
Im Grenzgebiet bei Burgfelden kommt es erneut zu Granateneinschlägen. Eine Granate detoniert nahe der Grenze bei Burgfelden, eine weitere trifft das Gelände der Tramschlaufe an der Burgfelderstrasse. Eine dritte Granate barst im weichen Wiesengelände, während eine vierte den Bahndamm der Elsässer Bahn trifft. Ein Schweizer Grenzwächter, der an der Bahnlinie seinen Dienst versieht, wird durch den Luftdruck zu Boden geworfen. Glücklicherweise bleibt er unverletzt und erleidet keine bleibenden Schäden. Die wiederholten Vorfälle entlang der Grenze verdeutlichen die Gefahren, die in der Region herrschen. Die Bewohner und auch die Einsatzkräfte sind weiterhin erheblichen Risiken ausgesetzt, während die Spannungen im Grenzgebiet anhalten.
Durchschlag durch ein Dach während der Gefechte in der Grenzregion - Foto Staatsarchiv Basel BSL 1060c 314116 - Kolorierung Patrick Schlenker
Zu weiteren Schäden in Basel kommt es an folgenden Orten:
05:00 Uhr: Nordquai 20 - Rheinschiffahrtsamt des Kantons Basel-Stadt
11:00 Uhr: Elsässerstrasse 261
11:00 Uhr: Kohlenstrasse 84 - Wirz AG
11:00 Uhr: Schlachthofstrasse 10
11:00 Uhr:Elsässerstrasse 256 - Stächelin & CIe
12:40 Uhr:Elässerstrasse 215 - ACV beider Basel
19:10 Uhr: Mittlerestrasse 150
20:00 Uhr: Paradieshofstrasse 63
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Aus den Berichten der Schweizer Armee ist Folgendes für den 25.11.1944 zu entnehmen:
09:15 Uhr: Kdt Rapport mit Kdt Inf. Rgt. 23 und Polizei Offizier.
11:30 Uhr: Verteilung der "Orientierung über Notunterkunft" an die Bewohner in den Gefahrenzonen.
14:00 Uhr. Rapport
15:30 Uhr: Oberarzt bei Kdt.
15:45 Uhr: Staschef bei Zollübergang Lysbüchel