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27. November 1944

Der Flüchtlingsstrom und Kämpfe in der Region

Seit dem Morgengrauen verstummen die Kanonendonner im umkämpften Sundgau nicht. Ein dichter Nebel liegt über dem Gebiet südlich von Basel und verdeckt jegliche Sicht. Langsam beginnt die Sonne, den Nebel zu durchbrechen, und enthüllt das Elsass in seiner ganzen Weite. Doch die Ruhe trügt: Von Zeit zu Zeit grollt Kanonendonner in der Ferne, wie ein vorbeiziehendes Gewitter.

In den Morgenstunden fliehen die letzten verbliebenen Bewohner von St. Louis. Die französischen Militärbehörden fordern die Zivilbevölkerung eindringlich auf, das Gebiet zu verlassen. Gegen 09:00 Uhr Uhr bildet sich ein ununterbrochener Flüchtlingsstrom, der sich eilig zur elsässisch-schweizerischen Grenze am Lysbüchel bewegt. Männer, die kurz vor dem Einmarsch der Franzosen noch von deutschen Besatzungsbehörden zum Arbeitsdienst gezwungen wurden, schieben Handkarren, beladen mit dem Allernötigsten. Frauen führen ihre Kinder, einige tragen Säuglinge, während andere hastig zusammengepacktes Gepäck in Kinderwagen stapeln.

Die Menschen drängen sich an der Grenze. Viele sind erschöpft, manche weinen still vor sich hin. Die jüngeren Frauen, deren Männer entweder zum Volkssturm eingezogen oder noch irgendwo in Deutschland sind, wirken gefasst, doch die Last der Situation ist ihnen anzusehen. Eine Mutter trauert um ihren 18-jährigen Sohn, der in den letzten Nächten getötet wurde. Einige Flüchtlinge transportieren ältere Familienmitglieder mit Handkarren. Ein Sohn schiebt seine 86-jährige Grossmutter über die Grenze, während andere gebrechliche oder nahezu blinde Personen im Lazarettwagen in die Schweiz gebracht werden.

Die Schweizer Grenzwacht und Soldaten handeln schnell und mitfühlend. Sie organisieren den Übertritt reibungslos und geleiten die Flüchtlinge zu den bereitgestellten Tramzügen, die sie zur Mustermesse in Basel bringen. Bis zum Mittag überqueren rund 400 Menschen die Grenze. Einige wenige bleiben jedoch zurück. Eine junge Frau ruft ihrer Mutter in Basel zu: „Ich lasse meine Hühner und Kaninchen nicht allein!“ und radelt entschlossen zurück nach St. Louis.

Flüchtlinge am Grenzübergang Lysbüchel – Schweizer Soldaten und Grenzwächter (mit Cape) nehmen die Flüchtlinge in Empfang – Foto News Chronicle London - Kolorierung Patrick Schlenker

Zerstörungen in St. Louis

Der Beschuss von St. Louis durch deutsche Minenwerfer richtet schwere Schäden an. Eine Mine trifft das Dach des Hôtel de Paris und explodiert im Inneren, wodurch das Gebäude erheblich beschädigt wird. Auch das neue Schulhaus am Marktplatz erleidet einen schweren Treffer. In einem grossen Umkreis zerbrechen Fensterscheiben durch die Druckwellen. Auf dem Gelände einer Abfallverwertungsfirma am St. Johanns-Bahnhof explodiert eine weitere Mine, deren Splitter Fenster durchbohren und den Geschäftsführer leicht verletzen.

Französischer M8 in den Strassen von St. Louis - Foto United Press - Kolorierung: Patrick Schlenker

Die militärische Lage im Oberelsass

Im Sundgau bleibt die militärische Lage unklar. Franzosen halten Kembs, während die Deutschen in Rosenau und Loesch weiterhin präsent sind. Auch Hüningen und Neudorf stehen nach wie vor unter deutscher Kontrolle. Jedoch gelingt es den Franzosen am Sonntagnachmittag, südlich von St. Louis bei den Abzweigungen nach Hüningen und Neudorf festen Boden zu gewinnen. Die deutsche Abwehr reagiert mit intensivem Beschuss, der den kleinen Weiler Michelfelden nahezu vollständig zerstört.

Die Katastrophe von Freiburg im Breisgau

Freiburg im Breisgau erlebt einen verheerenden Luftangriff, der als eine der schwersten Katastrophen des Luftkriegs bezeichnet werden muss. Die Stadt wird durch die Überraschung des Angriffs und die vorherige Sorglosigkeit der Bevölkerung besonders schwer getroffen.

Seit Kriegsbeginn bleibt Freiburg weitgehend verschont. Bis auf einige wenige Bomben in den Anfangsjahren hat die Stadt die Schrecken des Luftkrieges nicht kennengelernt. Regelmässig überfliegen alliierte Bomber die Stadt, wenn Ziele wie Stuttgart oder München angegriffen werden. Doch nie fällt eine Bombe auf Freiburg. Diese Tatsache führt zu der Überzeugung, dass die Stadt wegen der zahlreichen Militärlazarette in ihrer Umgebung verschont bleibt. Selbst als die Front näher rückt und Angriffe auf Städte in Südwestdeutschland zunehmen, bleibt Freiburg ruhig.

Auch am Morgen des 27. November zieht eine Bomberstaffel über die Stadt hinweg, ohne etwas auszulösen. Als gegen 20 Uhr weitere Flugzeuge Freiburg anfliegen, wird nur eine Vorwarnung ausgegeben, keine unmittelbare Bombengefahr gemeldet. Viele Bewohner schenken den Flugzeugen daher keine Beachtung.

Doch plötzlich hageln Spreng- und Brandbomben 20 Minuten lang ununterbrochen auf die Stadt. Die Zerstörungen sind gewaltig und hinterlassen ein Bild des Schreckens. Das Stadtgebiet zwischen dem Hauptbahnhof und der Bahnlinie Zähringen-Haslach bis zum Fuss des Schlossbergs verwandelt sich in ein Trümmerfeld. Tage später ist der Bereich noch von Rauch und Staub eingestürzter Häuser bedeckt. Herdern, ein Stadtteil von Freiburg, ist Berichten zufolge zu mehr als der Hälfte zerstört.

In der Altstadt richten die Bomben erhebliche Schäden an. Das berühmte Freiburger Münster bleibt zwar weitgehend erhalten, doch der gotische Langbau und das romanische Querschiff werden durch Brandbomben beschädigt. Der prächtige 116 Meter hohe Turm weist leichte Splitterschäden auf. Rund um den Münsterplatz trifft die Bombardierung viele Gebäude schwer: Das Erzbischöfliche Palais wird vollständig zerstört, ebenso das Kaufhaus mit seiner kunstvollen Rundbogenvorhalle.

Die grosse Schweizerkolonie in Freiburg im Breisgau hat glücklicherweise keine Todesopfer zu beklagen. Allerdings wird berichtet, dass alle Schweizer ausgebombt wurden und unser Konsul nur knapp sein Leben retten konnte. Alle Schweizer in Freiburg sind zur sofortigen Rückkehr in ihre Heimat aufgefordert worden.

Territorial-Kommando Basel

Die Schule in Kleinhüningen bleibt vorerst bis und mit Mittwoch geschlossen. Die Primarschüler erhalten Hausaufgaben. Die Sekundarklassen von Kleinhüningen werden im Dreirosenschulhaus unterrichtet. Die Lage aktuelle erlaubte es, das Inselschulhaus wieder zu öffnen. In Riehen bleiben die Primarschulklassen mit Ausnahme der 4. Klassen geschlossen. Die Schüler der 4. Klassen werden im Burg-Schulhaus unterrichtet, die übrigen Primarschüler erhalten Hausaufgaben.

Aus den Berichten der Schweizer Armee:

04:11 - 05:02 Uhr: Fliegeralarm

05:37 - 06:59 Uhr: Fliegeralarm - Starke Luftabwehr auf deutscher Seite. Luftschutz gibt Granatsplitter im KP ab.

Meldung der Funkstation 254 des Flieger-Regiments 3 von der Batteriestellung.

09:05 - 09:50 Uhr: Bergung einer deutschen Leiche durch den Luftschutz und Übergabe an deutsche Soldaten am Zollamt Hüningen

12:48 - 13:23 Uhr: Fliegeralarm

17:00 - 17:50 Uhr: Rapport

21:00 Uhr: Ankunft von 430 weiteren Flüchtlingen aus St. Louis in der MUBA. Auf Anfrage teilt die Grenzwache Lysbüchel mit, dass sich in St. Louis noch schätzungsweise 500 Zivilisten befinden (Einwohnerzahl ca. 5000).

Flüchtlingslager MUBA: Eingang 430 Personen, Ausgang 150 Personen

Flüchtlinge begleitet von Schweizer Soldaten in der Isteinerstrasse, hinter der MUBA - Foto Staatsarchiv Basel / Flüchtlingskinder aus dem Elsass - BSL 1045i 1-3-1/6 - Kolorierung Patrick Schlenker

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