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29. November 1944

Huningen weiter unter Beschuss

Nach 14:00 Uhr erleben die Bewohner von Hüningen, die nur zum kleineren Teil evakuiert worden sind, erneut angespannte Stunden. Nahezu drei Stunden lang liegt der Ort unter schwerem Artilleriefeuer französischer Truppen. Der Artilleriebeschuss konzentriert sich teils auf elsässische und badische Orte vor den Mauern Basels, teils auf das Stauwehr und das Kraftwerk Kembs. Die genaue Wirkung des gegenseitigen Beschusses lässt sich von Basel aus nicht eindeutig feststellen, da auch am Morgen dichter Nebel über der Rheinebene liegt. Sicher jedoch ist, dass die deutschen Truppen weiterhin die Kontrolle über Hüningen und Neudorf haben. Es gibt keine Pausen zwischen den Salven – Schuss um Schuss fällt, teils in die Nähe, teils in die Stadt, wodurch die Bewohner gezwungen sind, sich in den Kellern zu verstecken, um sich vor den gefährlichen Einschlägen zu schützen.

Kriegsschäden im Elsass - Foto Staatsarchiv Basel BSL 1060c 3/5-67/13 - Kolorierung Patrick Schlenker

Hüningen, wie auch Neudorf, ist nach wie vor ein hart umkämpftes Gebiet, das unter der Kontrolle der deutschen Truppen steht. Besonders dramatisch ist, dass die Bewohner, die seit fast zehn Tagen kaum das Haus verlassen konnten, nun wieder mit unmittelbarer Gefahr konfrontiert werden. Trotz des anhaltenden Artilleriefeuers und der ständigen Bedrohung durch Einschläge scheint die Stunde der Befreiung durch die französischen Truppen näher zu rücken. Möglicherweise sind die heftigen Angriffe nur ein Vorbote der kommenden Offensive.

Die Artillerie hat immer wieder präzise Einschläge vorgenommen, oft mit Granaten, die genau dort treffen, wo die Artilleriebeobachter sie erwarten. Besonders schwer betroffen ist das Niemandsland zwischen der ehemaligen SS-Kaserne und dem südlichen Rand von Hüningen, wo zahlreiche Schutzgräben und Bunker liegen, die als Vorposten der Deutschen dienen. Diese Gräben werden gezielt getroffen, was die enorme Präzision der französischen Artillerie unterstreicht.

Der Artilleriebeschuss zieht sich bis in den späten Nachmittag hinein, als gegen 17:00 Uhr eine kurze Ruhepause eintritt. Die deutschen Truppen, die in der Region aktiv sind, bleiben jedoch bis zum Einbruch der Dunkelheit relativ ruhig, was Hoffnung auf eine mögliche Wende der Ereignisse gibt. Die Bewohner von Hüningen sind nach wie vor im Kriegsgebiet gefangen, der Ort stark von deutschen Truppen besetzt. Doch es gibt die leise Hoffnung, dass das Ende des Beschusses und die zunehmende Aktivität der französischen Truppen auf eine bevorstehende Befreiung hindeuten könnten.

Aus dem nahen Elsass

Reisebericht von einem unbekannten Redaktor der National-Zeitung vom 29. Nobember 1944:

Da ich von verschiedenen Seiten gefragt wurde, auf welchem Wege ich nach Mulhouse, Altkirch und wieder zurück gelangt sei, möchte ich meine bisher nicht geschilderten, aber recht abwechslungsreichen Reiseeindrücke in chronologischer Reihenfolge zusammenfassen. Nachdem ich schon anfangs der Woche Volkensberg besucht hatte, fuhr ich von dort mit dem Fahrrad auf der von Festungen der Maginot-Linie flankierten Höhenstrasse nach Norden. Die weiter westlich in der Rheinebene verlaufende Strecke über Sierenz und Habsheim, so hatte man mir versichert, liege angeblich in der Schusslinie. Ein Milchmann habe anderthalb Stunden in einem Strassengraben liegen müssen, während die Kugeln über ihn hinwegpfiffen. Doch nichts von alledem war auf der wohlgeschützten Militärstrasse zu bemerken. Nur Wind und Regen begleiteten mich, doch dank unterhaltsamer Weggefährten verkürzte sich die Fahrt angenehm.

Drei Tage zuvor hatte in der Region ein mehr oder weniger blinder Alarm für Aufregung gesorgt, der zu einer regelrechten Massenflucht führte – vor allem bei Männern, sicher nicht den mutigsten. Die aus Mulhouse vertriebenen Deutschen waren offenbar in Panik geraten, als fünf Panzer scheinbar aus der Hard in Richtung Mulhouse vorstiessen. Der Propagandachef hatte vor seinem Wegzug alle Männer zwischen 16 und 60 Jahren zum Volkssturm aufgeboten. Doch diejenigen, die dem Aufgebot nicht gefolgt waren, glaubten, man werde sie holen, und flohen Hals über Kopf bis zur Schweizer Grenze. Nun kehrten sie zurück, um Milchflaschen, Nahrungsmittel oder andere Dinge zu holen, um einige Erfahrungen reicher und sehr gesprächig. So verschwand ich unauffällig in der Menge.

Befreite feiern mit Befreiern - Foto L'Illustre November 1944 - Privatarchiv Patrick Schlenker

In Niedermagstadt besuchte ich den Volkssturm und traf dort auf einen alten Bekannten, einen früheren Mitarbeiter der National-Zeitung. Obwohl er bereits 78 Jahre alt war, wirkte er noch gesund und rüstig. Obwohl als „politisch unzuverlässig und franzosenfreundlich“ eingestuft, hatte er die letzten vier Jahre relativ unbeschadet überstanden, wenngleich die gestrengen Herren ihn wegen einiger Gedichte zur Rechenschaft gezogen hatten. In seinem gastlichen Haus, das er mit seinem Neffen, einem Rutengänger, bewohnte, lernte ich auch den Ortsgeistlichen kennen. Dieser schilderte eindrucksvoll die anfangs ablehnende Haltung der elsässischen Bauernbevölkerung gegenüber der nationalsozialistischen Ideologie. Auch die Beeinflussung der Jugend durch Schule und Hitlerjugend stellte sich langfristig als völliger Fehlschlag heraus. Der elsässische „bon sens“ (gesunder Menschenverstand) zeigte sich offenbar schon in den Köpfen der Kleinen. So brachte ein Junge ein nationalsozialistisches Propagandabüchlein mit einem Bild des Führers aus der Schule nach Hause. Seine Eltern wollten es ihm gerne wegnehmen, doch der Junge verteidigte es energisch. Auf die Frage, was er damit machen wolle, antwortete der Bub: „Ins Häusle tragen.“

Der Pfarrer erzählte mir auch von einer tragischen Begebenheit: Zwei Tage zuvor zogen etwa 400 deutsche Zivilgefangene aus Mulhouse durchs Dorf. Die Soldaten, die sie eskortierten, hatten strenge Anweisungen, niemanden heranzulassen oder mit den Gefangenen sprechen zu lassen. Eine Frau wollte dennoch einem Gefangenen Trinkwasser bringen. Ein Marokkaner aus der Eskorte, der die Flinte im Anschlag hielt, hob reflexartig den Arm, und ein Schuss tötete die unvorsichtige Frau. In Mulhouse zeigte sich ein anderes Bild. Neben den bereits geschilderten Flieger- und Explosionsschäden fiel mir auf, dass dort Strassenbahnen mitten auf der Strasse stehen geblieben waren. Die Hotels waren überfüllt mit Flüchtlingen aus den von Deutschen noch besetzten Dörfern oder aus Stadtteilen, die im Feuerbereich lagen. Das Strassenbild war geprägt von Pritschenwagen, beladen mit Plunder, Kindern oder alten Leuten. Junge Männer zogen diese Wagen oft selbst, und meist befand sich ein Käfig mit einem Kanarienvogel darauf. Doch die Elsässer erwiesen sich als gastfreundlich und herzlich. Die gemeinsame Not öffnete die Herzen und liess Kleinlichkeiten verschwinden. 

Häuser mit Kriegsschäden im Elsass - Foto Staatsarchiv Basel BSL 1060c 3/5-67/5 - Kolorierung Patrick Schlenker

In Mulhouse ist die Versorgungslage schwierig: 250 Gramm Fleisch pro Woche, Käse nur etwa 100 Gramm im Monat. Milch gibt es in kleinen Mengen: Kinder bis sechs Jahre erhalten einen halben Liter pro Tag, ältere einen Viertelliter. Gemüse muss mühsam organisiert werden, wenn kein eigener Garten vorhanden ist. Der Markt findet alle vierzehn Tage statt.

Das Haus, in dem ich wohnte, war durch Zentralheizung angenehm erwärmt. Elektrisches Licht funktionierte, und das Radio spielte. Doch die Gasversorgung war unterbrochen, da die Gasfabrik im Norden der Stadt auf deutschbesetztem Gebiet lag. So musste die Hausfrau mit improvisierten Mitteln kochen. Interessanterweise stellte ich in einem Grenzdorf Überfluss fest. Die Bewohner hatten ein Schwein geschlachtet – unter den Deutschen wäre das streng verboten gewesen. Wie es jetzt geregelt wird, wusste niemand, und so hatte man vorsichtshalber gehandelt.

In jedem Dorf gab es noch die Überbleibsel der nationalsozialistischen Propaganda. Grosse Parolen prangten an den Mauern: „Angloamerikaner, Juden und Bolschewiken bringen Chaos, Not, Hunger und Anarchie.“ Oder: „Demokratie und Bolschewismus bedeuten den Untergang der Menschheit. Der Nationalsozialismus ist ihre Rettung – darum kämpfen wir bis zum Endsieg!“ Doch heute waren diese Parolen nur noch grotesk, und die neuen Regierenden liessen sie stehen, wohl wissend, wie lächerlich sie sich im Licht der Gegenwart ausnahmen. Eine neue Zeit begann. Die französische Armee, mit modernen Fahrzeugen und einer guten Ausrüstung, zog mit Macht durch die Strassen. Während die alte deutsche Herrschaft mit ihrer Propaganda verblasste, bedeutete dies für das neue französische Regime einen vielversprechenden Anfang. Dennoch bleibt das vierjährige Erbe der deutschen Herrschaft in Form zerstörter Städte und menschlichen Leids bestehen.

Rache und Abrechnung mit NS-Kollaborateuren

Ein prägendes Element des Berichts sind die Szenen von Abrechnungen mit ehemaligen Kollaborateuren und NS-Anhängern:

  • Ein Mann namens Rüsch, genannt „der Langhaarige“, wurde von einer aufgebrachten Menge aus seinem Haus geholt. Er wurde für persönliche Tragödien verantwortlich gemacht, darunter den Tod von Familienangehörigen und Deportationen.
  • Ein anderer Fall betrifft den sogenannten „Protokollmeyer“, einen ehemaligen Polizeichef, der wegen seiner rigorosen Strafverfolgung besonders gehasst war. Bei seiner Verhaftung wurde er von wütenden Frauen misshandelt.

Altkirch

Die Kleinstadt im Elsass trägt sichtbare Spuren der andauernden Kriegswirren. Obwohl die Gefallenen begraben wurden, bleiben Überreste der Kämpfe unübersehbar. Helme, Waffen und weitere militärische Ausrüstung sind in der Nähe von zerstörten Fahrzeugen verteilt. Die Umgebung wirkt zunehmend kriegsgeprägt, je näher man der Stadt kommt. Alliierte Flugzeuge patrouillieren im Nordwesten. Deutsche Fliegerabwehr eröffnet regelmässig das Feuer, jedoch bleiben sichtbare Erfolge aus. Am Himmel zeigen sich nur die weissen Wolken der Detonationen, keine Maschinen gehen zu Boden.

Eine zentrale Verbindung, die Brücke zwischen dem Bahnhof und der Stadt, ist zerstört. Während Fussgänger und geschickte Kletterer sie noch überqueren können, erfordert der Weg mit einem Fahrzeug oder Fahrrad eine Umleitung zur nächsten intakten Brücke. In der Stadt sind Kriegsgefangene ein häufiges Bild. Ein Lastwagen mit jungen deutschen Gefangenen wurde gesichtet, ebenso wie Gruppen deutscher Soldaten, die innerhalb des Stadttors in einem Hof untergebracht sind. Diese werden von französischen Truppen bewacht, während zahlreiche Patrouillen die Strassen sichern und umliegende Wälder durchsuchen. Die französischen Widerstandskämpfer der FFI, bekannt als Maquisards, sind ebenfalls vor Ort und unterstützen die Militäraktionen. Die Strassen Altkirchs sind gezeichnet: herabgestürzte Ziegel bedecken den Asphalt, viele Häuser tragen deutliche Spuren der Gefechte. Die Kämpfe haben auch die örtliche Bevölkerung betroffen, die sich an diese Bedingungen anpassen muss. Historisch betrachtet ist Altkirch kein Fremder im Kriegsgeschehen. Bereits 1914, zu Beginn des Ersten Weltkriegs, entstand hier der erste Schützengraben. Die heutigen Soldatenfriedhöfe markieren diese Stellen. Im Jahr 1918, am Tag nach dem Waffenstillstand, war die Stadt fast vollständig verlassen, abgesehen von einigen einquartierten deutschen Soldaten. Heute jedoch ist Altkirch wieder Schauplatz intensiver militärischer Auseinandersetzungen. Die Lage bleibt angespannt. Häuser, Infrastruktur und die Menschen der Stadt sind gleichermassen vom Krieg gezeichnet. Altkirch steht exemplarisch für viele Orte im Elsass, die die Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs direkt erfahren. Ein Ende des Konflikts ist hier noch nicht in Sicht.

Territorial-Kommando Basel

Aus den Berichten der Schweizer Armee:

08:00 - 12:00 Uhr: Rapport 2. Armee-Korps / Inf. Rgt. 23

11:15 Uhr: Besuch verschiedener Kommandanten des Flüchtlingslagers Mustermesse.

15:00 Uhr: Meldung vom Bahnhof SBB: Lastwagen 13756C defekt. Hinterachse gebrochen. Fahrzeug soll Reparatur in die Garage des ACV gebracht werden. Transport durch Herrn Thommen (ACV) organisiert.

Flüchtlingslager MUBA

  • Eingang: 11 Personen
  • Ausgang: 129 Personen

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