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30. November 1944

Situation im Elsass

Die Schlacht um das Elsass nähert sich ihrem Ende. Die amerikanische Siebte Armee erweitert ihre Position nördlich und südlich von Strassburg, dringt in den Wald um Hagenau ein und arbeitet sich in Richtung Schlettstadt und Colmar vor. Gemeinsam mit General Leclercs Truppen wurde Erstein befreit, und Kämpfe südlich davon dauern an.

Die deutschen Truppen ziehen sich schrittweise zurück, errichten Blockaden, sprengen Brücken und nutzen Pontonbrücken bei Breisach, um Truppen über den Rhein zu verlegen. Die schlechte Wetterlage behindert die alliierte Luftwaffe, dennoch wurden über 1300 Einsätze gegen deutsche Ziele geflogen.

Die französische Erste Armee macht Fortschritte in den Vogesen und erreicht den Rhein bei Niffer. Unklar bleibt, ob die Deutschen ihre Truppen vollständig hinter den Rhein zurückziehen. Weitere Vorstösse zielen auf Schlettstadt und Colmar.

Strassburg, 30. November (United Press): General Leclerc, Kommandant der französischen Truppen, die Strassburg befreiten, hat in der ganzen Stadt eine Proklamation anschlagen lassen. Darin kündigt er strenge Massnahmen gegen Heckenschützen und bewaffnete Widerständler an.

Die Proklamation erklärt, dass für jeden französischen Soldaten, der durch deutsche Heckenschützen oder Partisanen getötet wird, fünf deutsche Geiseln hingerichtet werden. Diese Regelung tritt am Samstagabend um 17 Uhr in Kraft. Zudem wurde eine Frist bis zu diesem Zeitpunkt festgesetzt, innerhalb der alle Waffen an die FFI (Forces Françaises de l'Intérieur) abgeliefert werden müssen. Wer nach Ablauf der Frist weiterhin illegal Waffen besitzt, wird mit dem Tode bestraft. In der Proklamation wird auch klargestellt, dass deutsche Soldaten, die in Zivilkleidung aufgegriffen werden, als Deserteure betrachtet und standrechtlich erschossen werden. General Leclerc betonte, dass die Geiseln, falls ihre Hinrichtung notwendig werde, aus einer Gruppe von Gefangenen ausgewählt würden, die bereits in Gewahrsam sind.

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Weitere Kämpfe um Hüningen

Elf Tage, nachdem die Panzertruppen der 1. französischen Armee unter General Delattre de Tassigny ihren stürmischen Vormarsch in St. Louis fortsetzen und die Versorgungswege entlang der grossen Überlandstrasse Delle-Basel von versprengten deutschen Truppen gesäubert wurden, beginnt die französische Artillerie ihren Angriff auf den deutschen Brückenkopf. Dies wird durch ein intensives Bombardement eingeleitet.

Um 06:50 Uhr beginnt die Beschiessung von Neudorf, nachdem in der vorausgegangenen Nacht das hart umkämpfte Rosenau den Deutschen entrissen wird. Um 07:28 Uhr rückt die französische Infanterie entlang des Rhein-Rhone-Kanals vor. Ein französischer Stosstrupp sprengt die von Artilleriebeschuss heimgesuchte Kanalbrücke bei Neudorf, um einen Ausbruch der stark bedrängten Deutschen zu verhindern. Kurz vor 10:00 Uhr wird die Ortschaft vollständig gesäubert und ist fest in der Hand der Angreifer.

Die deutschen Verteidiger ziehen sich in Richtung Hüningen zurück. Während der Angriff gegen den Hüninger Brückenkopf von Neudorf aus planmässig voranschreitet, erreichen erste französische Infanteristen, begleitet von Mitgliedern der FFI, den Hüninger Zoll. Gut gedeckt bewegen sie sich entlang der Basler Strasse in Richtung Hüningen und stehen gegen Mittag bereits in der Nähe der ehemaligen chemischen Fabrik.

Gegen 11:15 Uhr, nachdem die französische Infanterie und schwere Waffen Hüningen von allen Seiten umfassen und Artillerie sowie Minenwerfer vorgerückt sind, beginnt der Kampf jenseits der Grenzpfähle mit all seinen Auswirkungen. Die französische Artillerie schiesst unaufhörlich, Granaten aus Minenwerfern explodieren im Zielgebiet, und der Boden zittert unter der Wucht der Einschläge. Fenster klirren, Häuserfronten brechen ein, und Erdfontänen wirbeln auf. In den Kellern sucht die Bevölkerung Hüningens Schutz, während Granateinschläge die Stadt erschüttern.

Jenseits des Lysbüchels wartet eine kleine Reserve französischer Infanteristen, mit Maschinengewehren, Maschinenpistolen und Panzergranaten ausgerüstet. Diese Soldaten tragen gelbbraune Khaki-Uniformen mit der französischen Kokarde am linken Ärmel. Schwere Fahrzeuge stehen bereit, von denen eines das aus dem französischen Zollhaus entfernte Bild des „Führers“ zeigt.

Bis etwa 14:00 Uhr tobt der Kampf unvermindert weiter. Immer wieder mischt sich das Explodieren deutscher Minenwerfer in das donnernde Artilleriefeuer. Kurz vor 14:00 Uhr wird ein weiterer verletzter französischer Soldat am Lysbüchel eingeliefert, der schwere Verwundungen durch eine deutsche Minenwerfergranate erlitten hat.

Etwa 30 Minuten später lässt das Artilleriefeuer nach, und um 15:00 Uhr herrscht plötzlich Stille. Zu diesem Zeitpunkt werden die ersten deutschen Gefangenen eingebracht, die nach einem Verhör ins Hinterland transportiert werden. Um 16:00 Uhr verläuft die Frontlinie entlang der Hüninger Strasse zwischen der alten „Schiffmühle“ und der ehemaligen chemischen Fabrik.

Französische Vorhuten geraten dort in ein Kreuzfeuer der inzwischen verstärkten deutschen Vorposten. In der Nähe der Strasse liegen die Leichen eines deutschen und eines französischen Soldaten dicht nebeneinander. Nördlich von Hüningen tobt zu dieser Zeit ein schwerer Infanteriekampf im Vorfeld von Neudorf. Die Franzosen haben Hüningen umzingelt und sind dabei, den deutschen Widerstand systematisch zu brechen. Der Angriff verläuft unter schweren Kämpfen, sowohl entlang der Basler Strasse als auch in den nördlich gelegenen Gebieten. Die deutsche Verteidigung hält an einigen Punkten noch stand, ist jedoch bereits erheblich geschwächt.

Deutscher Volksturm mit Panzerfäusten - Foto Schweizer Illustrierte Dezember 1944 - Privatarchiv

Flüchtlingsituation an der Grenze zu Basel

Viele Menschen erfuhren nach jahrelanger Ungewissheit endlich wieder Neuigkeiten von ihren Angehörigen. Seit dem Abzug der deutschen Grenzbeamten und Hilfszöllner war es wieder möglich, über die schweizerischen Grenzpfähle hinweg zu grüssen und zu sprechen. Am Grenzbach oder Schlagbaum trafen sich Verwandte und Freunde von beiden Seiten der Grenze. Nach langer Trennung lagen sie sich weinend in den Armen und feierten ein freudiges Wiedersehen.

Doch als in der vergangenen Woche Tausende von Flüchtlingen zur Schweizer Grenze drängten, wurden ihre Hoffnungen zunächst enttäuscht: Die Grenze blieb verschlossen. Ein hoher Funktionär erklärte dazu: „Man darf sich nicht nur von Gefühlen oder Mitleid leiten lassen, sondern muss auch den Verstand walten lassen.“ Er betonte, dass viele elsässische Flüchtlinge in Orten wie Oltingen oder Leimen genauso sicher seien wie in der Schweiz. Sollten sich die Umstände drastisch verschlechtern, hätten sie weiterhin die Möglichkeit, in die Schweiz zu fliehen. Doch wenn man sie ohne zwingenden Grund schon jetzt ins Land lasse, könnten die Herausforderungen durch den Flüchtlingszuzug noch grösser werden. Zudem könnte eine spätere Ausreise dieser Menschen auf Schwierigkeiten stossen, die weder für sie noch für die Schweiz wünschenswert seien.

Flüchtlinge am Lysbüchel - Staatsrarchiv Basel BSL 1013 1-25 2 - Kolorierung Patrick Schlenker

Die basellandschaftliche Bevölkerung zeigte grosse Solidarität. Unter der Leitung von Regierungsrat Dr. Gschwind, dem Direktor der Kriegswirtschaft und des Innern, wurden zahlreiche Massnahmen organisiert. Gschwind, der bei einem Grenzgang selbst nur knapp einer gefährlichen Feuersalve entging, sorgte dafür, dass etwa 500 Flüchtlinge an der Grenzübergangsstelle Allschwil-Hegenheim, 120 bei Schönenbuch und 400 bei Leimen mit Brot, Tee, Kaffee und Suppe versorgt wurden. Dank der Vermittlung durch Schweizer Behörden konnten Tausende Flüchtlinge aus Mulhouse, Bartenheim und anderen Orten in grenznahen Gemeinden untergebracht werden.

Die Unterstützung war jedoch keine einfache Aufgabe. Die strengen administrativen Vorgaben und die Rationierung erschwerten schnelle Hilfe. Nur Persönlichkeiten mit umfassenden Vollmachten konnten solche Hürden überwinden.

Es ist daher besonders hervorzuheben, dass Regierungsrat Dr. Gschwind als Chef der basellandschaftlichen Kriegswirtschaft, Kriegsfürsorge und der Schweizer Spendenaktion Baselland (Aktion Beider Basel) unverzüglich handelte. Er veranlasste vor Ort alle notwendigen Massnahmen, um den Flüchtlingen schnellstmöglich zu helfen, und koordinierte ergänzende Hilfen zielgerichtet und effektiv.

Paketaktion ACV - Frauen stellen Pakete zusammen - Staatsrarchiv Basel BSL 1060c 3/7/1114 - Kolorierung Patrick Schlenker

Territorial-Kommando Basel

Der Oberbefehlshaber der Armee, General Guisan, hat den Fürsorgechef der Armee mit der Organisation der Soldatenweihnacht 1944 beauftragt. Zur Finanzierung der Soldatenpakete wird am 9. und 10. Dezember in der gesamten Schweiz ein Abzeichenverkauf durchgeführt.

Zum Verkauf steht eine Anstecknadel mit dem Symbol eines Soldatenkopfes auf rot-weissem Band. Das Tragen dieses Abzeichens ist gemäss Armeebefehl vom 21. November den Angehörigen der Armee gestattet. Da der Erlös aus dem Abzeichenverkauf nicht ausreicht, um die benötigten Mittel für die Weihnachtspakete bereitzustellen, wird durch die Post ein Aufruf an alle Haushalte versandt. Dieser fordert dazu auf, Geldbeträge zu spenden:

  • Ganzes Paket: 10 Franken
  • Halbes Paket: 5 Franken
  • Viertelpaket: 2.50 Franken

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Um 11:00 Uhr kam es zu weiteren Schäden durch Granatsplitter auf Basler Boden und zwar an der Dorfstrasse 26 - AVC beider Basel und an der Hochbergerstrasse 60.

 

Aus den Berichten der Schweizer Armee:

08:00 Uhr: Artilleriefeuer ist zu hören.

09:00 Uhr: Es trifft eine Meldung auf dem KP ein, dass ein Gegenangriff auf Hüningen läuft. Bis 11:00 Uhr sind die Geschütze hörbar.

11:20 – 11:40 Uhr: Drei verschiedene, jeweils 5 Minuten andauernde Beschiessungen auf Hüningen.

11:20 Uhr: Meldung von der Stückfärberei (Anmerkung des Autors – heutiges Stücki-Areal), dass infolge des Beschusses der Betrieb eingestellt wird.

Gegen Mittag: Leichte Aufhellungen über dem Rhein, woraufhin französische Infanterie zum Angriff ansetzt.

14:00 Uhr: Meldung, dass die 47. französische Infanterie mit FFI angreift.

16:00 Uhr: Eine Arbeiterin der Firma Leutinger SA ruft an und fragt, ob die Firma nicht verpflichtet sei, die Arbeiten infolge der Gefährdung durch Granatsplitter auszusetzen. Sie wird an das Arbeitsamt verwiesen.

16:20 Uhr: Nach ständigen Angriffen auf die Geigy-Fabrik ziehen sich die Deutschen an diversen Stellen zurück.

Während des Nachmittags werden am Zollamt Lysbüchel drei verwundete FFI von einem Sanitätsarzt des Infanterie-Regiments 23 übernommen und interniert.

17:00 Uhr: Der Badische Bahnhof stellt den Betrieb ein.

17:15 Uhr: Meldung vom Zollübergang Hüningen: Mit Lautsprecherwagen werden die Bewohner von Hüningen zum Verlassen der Ortschaft aufgefordert.

Flüchtlingslager MUBA

  • Eingang: 19 Personen
  • Ausgang: 112 Personen

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