Viktorianische Weihnachts-Traditionen
WEIHNACHTEN INSPIRIERT VON DER KÖNIGSFAMILIE
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde Weihnachten in Grossbritannien nur in wenigen Haushalten so gefeiert, wie wir es heute kennen. Doch dann, durch die königliche Familie, besonders durch Königin Victoria und ihren Ehemann Prinz Albert, begann sich die Weihnachtstradition tiefgehend zu verändern. Albert, der aus Deutschland stammte, brachte die Bräuche seiner Heimat mit und führte sie am britischen Hof ein. Als er 1840 die Hand der Königin heiratete und nach England zog, nahm er viele seiner Kindheitsgewohnheiten in die königliche Familie auf.
In den ersten Jahren von Victorias Regentschaft feierte die königliche Familie Weihnachten in Windsor Castle, doch nach Alberts Tod im Jahr 1861 zog die Königin sich nach Osborne House auf der Isle of Wight zurück, um dort die Festtage zu verbringen. Die Fortführung der festlichen Traditionen nach Alberts Tod war eine greifbare Möglichkeit, sein Andenken zu bewahren. Gleichzeitig inspirierte sie das ganze Land, und bald fand man diese Bräuche in vielen privaten Haushalten des viktorianischen Englands wieder.
WEIHNACHTSBÄUME SCHMÜCKEN
Einer der bekanntesten Bräuche, der in der viktorianischen Ära populär wurde, ist das Schmücken von Weihnachtsbäumen. Prinz Albert war es, der diesen Brauch in den königlichen Haushalt einführte, inspiriert von seiner deutschen Herkunft. In den Räumen von Windsor Castle erstrahlten die Weihnachtsbäume in festlichem Glanz, verziert mit Kerzen und Schmuck, die Räume wurden mit immergrünen Pflanzen geschmückt.
Doch Victoria und Albert waren nicht die ersten Royals, die einen Weihnachtsbaum aufstellten. Schon 1800 führte Königin Charlotte, die Frau von König George III., den ersten geschmückten Baum in Queen's Lodge in Windsor ein. Charlotte, die ebenfalls aus Deutschland stammte, hatte diese Tradition von ihrer Heimat mitgebracht.
Dennoch sind es vor allem Victoria und Albert, die mit dieser Tradition stark verbunden werden. Eine berühmte Gravur aus den 1840er Jahren zeigt die königliche Familie um einen festlich geschmückten Baum, und dieses Bild nahm die britische Öffentlichkeit begeistert auf. Es trug dazu bei, dass der Brauch, einen Baum zu Weihnachten zu schmücken, in den Häusern des ganzen Landes verbreitet wurde.
Postkarte um 1910 - Privatarchiv
TRUTHAHN ODER FESTLICHER BRATVOGEL
Postkarte um 1910 - Privatarchiv
Wie viele von uns genossen auch Victoria und Albert das Weihnachtsessen, das vor allem durch den Truthahn geprägt war. In der königlichen Familie wurde das Festmahl als Familienereignis gefeiert, und Truthahn, zusammen mit allen erdenklichen Beilagen, war der Hauptbestandteil des Mahls.
Das königliche Weihnachtsessen war natürlich üppig und bestand aus mehreren Gängen. Neben dem Truthahn gab es Mince Pies, verschiedene Vorspeisen und Suppen. Zum Abschluss genossen die Royals oft einen klassischen Plumpudding. Für ärmere Familien in viktorianischen England war der Festtagsschmaus jedoch bescheidener. Hier war es häufig der Gänsebraten, der im Mittelpunkt stand, wie es auch Charles Dickens in seiner Erzählung A Christmas Carolbeschreibt. Manche Familien traten sogar einem „Gänseklub“ bei, um das ganze Jahr über in kleinen Raten für den Festbraten zu sparen.
Heute steht der Truthahn auch in vielen Haushalten im Zentrum des Weihnachtsessens, eine Tradition, die bis in die viktorianische Zeit zurückreicht.
GESCHENKE VERTEILEN
Das Schenken von Geschenken war zwar keine Neuerfindung der Viktorianer, aber sie machten es zu einem unverzichtbaren Bestandteil der Weihnachtsfeierlichkeiten. Geschenke wurden nicht am Weihnachtsmorgen überreicht, wie es heute üblich ist, sondern traditionell am Heiligabend.
Postkarten zwischen 1900 und 1910 - Privarachiv
In der königlichen Familie war es Brauch, die Geschenke nicht einzupacken, sondern sie auf Tischen auszubreiten – ähnlich wie bei königlichen Geburtstagsfeiern. Die Geschenke, die sich Victoria und Albert machten, waren oft von hoher Qualität, darunter Schmuck, Kunstwerke oder Skulpturen. Ihre Kinder und Enkelkinder beschenkten die Königin häufig mit handgefertigten Geschenken wie Gemälden, Stickereien oder kleinen Handarbeiten.
Arme Viktorianer konnten sich natürlich keine grossen Geschenke leisten, aber das Konzept des Schenkens war in allen gesellschaftlichen Schichten verbreitet. Auch in bescheidenen Haushalten wurden Geschenke unter den Familienmitgliedern ausgetauscht.
EIN BESONDERER PUDDING
Für Königin Victoria war ein Weihnachtsfest nicht vollständig, ohne dass ein Plumpudding auf dem Tisch stand. Dieser war ein fester Bestandteil des königlichen Dessertmenüs und wurde oft mit Alkohol verfeinert.
Der Plumpudding war ein beliebtes Gericht, das nicht nur am königlichen Hof, sondern auch bei normalen viktorianischen Familien genossen wurde. In Dickens’ Erzählungen wird der Pudding als eine süsse Versuchung beschrieben, die zu den Festtagen gehört. Oft wurde er mit einer Art Sauce serviert, wie einer englischen Vanillesauce oder einer Crème anglaise.
Besonders spannend war eine Tradition, die in der königlichen Familie gepflegt wurde. Die Royals entzündeten eine Schüssel mit in Alkohol getränkten Rosinen und versuchten, so viele Rosinen wie möglich aus der Flamme zu fischen – eine Tradition, die in der heutigen Zeit aus Sicherheitsgründen nicht mehr praktiziert wird.
DANKESGESCHENKE
In den königlichen Haushalten war Weihnachten auch eine Gelegenheit, den Bediensteten zu danken. Als Königin war Victoria sehr in die Arbeit ihrer Dienerschaft involviert und zeigte besonderes Interesse an ihrem Wohl. Auf Osborne House etwa arbeiteten über 100 Bedienstete, und an Heiligabend trat die königliche Familie mit ihnen in Kontakt und teilte Geschenke aus.
Die Geschenke, die die Royals den Bediensteten machten, reichten von praktischen Dingen wie Kleidung und Lebensmitteln bis hin zu persönlichen Geschenken. Besonders eng mit der Königin verbundene Bedienstete, wie ihre Zofe oder ihre Kammerdiener, erhielten ebenfalls Geschenke. Es war eine Geste der Dankbarkeit, die vor allem Victoria sehr wichtig war – sie verteilte die Geschenke an ihre Bediensteten, bevor sie selbst ihre eigenen Geschenke erhielt.
Auch heute noch ist es ein wichtiger Teil vieler Weihnachtsfeiern, sich für das Wohl anderer zu bedanken und gemeinnützige Arbeiten zu unterstützen.
Postkarte um 1910 - Privatarchiv
VIKTORIANISCHE WEIHNACHTEN: EIN BLEIBENDES ERBE
Postkarte um 1910 - Privatarchiv
Die Weihnachtsbräuche, die sich unter den Viktorianern etablierten, sind auch heute noch tief in unseren Feierlichkeiten verwurzelt. Der Weihnachtsbaum, die Weihnachtskarte und das Knallbonbon – all diese Traditionen gehen auf die viktorianische Ära zurück.
Die Verbesserung der industriellen Produktion und der Wohlstand breiterer Bevölkerungsschichten führten dazu, dass Weihnachtsschmuck, Spielzeuge und festliche Leckereien für viele Menschen erschwinglich wurden. Die Einführung von Weihnachtskarten, die Sir Henry Cole 1843 initiierte, und die Erfindung des Weihnachtsknallbonbons durch Tom Smith in den 1840er Jahren sind nur zwei Beispiele für die Neuerungen jener Zeit.
Die viktorianische Ära legte grossen Wert auf das Feiern von Familie und Zusammengehörigkeit, und viele der Traditionen, die wir heute in unseren Weihnachtsfeiern pflegen, wurden in dieser Zeit geprägt. So bleibt der Geist der viktorianischen Weihnacht, ein Fest der Familie, des Gebens und der Gemeinschaft, auch in unseren modernen Feierlichkeiten lebendig.
Frohes Fest